Nur absolute Giganten entrinnen dem unvermeidlichen Vergessen. Im Motorsport entgehen höchstens Legenden wie Fangio, Clark, Senna oder Schumacher diesem Schicksal. Dabei gibt es noch andere Champions und Serien, die seinerzeit Generationen von Fans in ihren Bann zogen.
Rallycross wurde in den letzten Jahren mit Einführung der WRX in den Status einer FIA-Weltmeisterschaft erhoben. Doch erreichte die Popularität dieser Motorsportdisziplin ihren Höhepunkt vermutlich bereits in den 70er und 80er Jahren, als in der Rallycross-Europameisterschaft fantastische Rallyeautos dicht gedrängt auf zur Hälfte asphaltierten und zur anderen Hälfte geschotterten Strecken die Zuschauer begeisterten. Eine lange Reihe von Vorläufen mündete damals in ein 15-minütiges Finale, in dem man nur mit 110 Prozent Einsatz Chancen auf den Gesamtsieg hatte. Voraussetzung für den Erfolg war eine Mischung aus fahrerischem Können, Aggressivität und einer Portion Schamlosigkeit. Es war daher kein Zufall, dass das damals beliebteste Fanmagazin den Titel „Flat out” trug – denn nur mit dieser Gaspedalstellung gehörte man zu den Siegkandidaten.
Rallye-Größen wie Stig Blomqvist, Björn Waldegård, Per Eklund und Roger Clark duellierten sich mit Rallycross-Spezialisten. Auf Porsche, Ford Escort RS, Fiat 131 Abarth, Lancia Stratos oder Volvo 343. Franz Wurz, Vater des späteren Formel-1- und Sportwagen-Piloten Alexander Wurz, sah man im von Memphis Tobacco gesponserten Fiat und später Lancia Stratos. Als 1987 der Bannstrahl der FIA die Gruppe-B-Fahrzeuge traf, wechselten einige dieser PS-Monster von der Rallye-WM in die Rallycross-Szene. Und leiteten damit eine goldene Ära ein. Was konnte es Spektakuläreres geben, als hautnahe Duelle zwischen Lancia Delta S4, Peugeot 205 T16, Ford RS200, Audi Quattro S1 oder sogar Turbo-Porsches, die den Schotter umpflügten? Eine PS-Orgie, großartig für die Zuschauer, untermalt von heulenden Motoren, ohne „Balance of Power“ oder Luftmengenbegrenzer, nur Fahren am Limit.
Ende 1992 wurden die Gruppe-B-Monster auch im Rallycross verboten, woraufhin der Sport an Popularität einbüßte. Daran änderten auch ein WM-Prädikat und die Starts von Weltmeistern wie Petter Solberg und Jacques Villeneuve nichts. Solberg war der Superstar der Gruppe-B-Ära gewesen und einer von vielen Norwegern im Rallycross-Spitzenfeld. Wegen seiner originellen Siegesfeiern – er steuerte das Auto, während er sich aus der offenen Tür herauslehnte, oder sogar vom Dach aus – gaben ihm die Fans den Spitznamen „Hollywood”. Nur wenige erinnerten sich daran, dass er diese Kunststückchen von einem Landsmann übernommen hatte, der so beliebt und charismatisch war, dass er seinerzeit sogar den Ehrentitel „Mister Rallycross” erhielt: Martin Schanche…
Mehr im aktuellen Heft!
von Ugo Vicenzi
Fotos: Eddi Laumanns, Gerrit Blijleven, Jorgen Steinli, Collection Ugo Vicenzi, Arsenio Riseri