Er war einer der besten Langstreckenfahrer seiner Generation, und doch gehört seine Geschichte zu den traurigsten, die der Motorsport der 60er Jahre zu erzählen hat: Willy Mairesse. Der Belgier hatte eine wechselvolle Karriere hinter sich, hatte fürchterliche Unfälle überlebt, eine Familie gegründet und seinen Helm eigentlich schon an den Nagel gehängt, als er 1968 noch einmal ein Comeback in Le Mans gab. Abermals verunglückte Mairesse schwer, von den Folgen dieses letzten Unfalls erholte er sich körperlich und psychisch nie wieder. Am 2. September 1969 schied Willy Mairesse durch Selbstmord aus dem Leben. Sein Todestag jährte sich 2019 zum 50. Mal.
Nürburgring, Ende Mai 1964. Jacques Swaters, Teamchef der Ecurie Garage Francorchamps (EGF), bringt zwei Rennwagen zum 1000-Kilometer-Rennen mit: einen 250 GTO/64 (#5575GT) sowie den brandneuen, erst vor ein paar Wochen im Empfang genommenen 250 LM (#5843). Für den belgischen Rennstall sind vier Fahrer vorgesehen: Lucien Bianchi, Jean Blaton (der unter dem Pseudonym „Beurlys“ antritt), Pierre Dumay und Gérard Langlois. Auf Einladung von Swaters kommt ein weiterer gut bekannter Fahrer hinzu: Willy Mairesse.
Mairesse, der sich noch immer von seinem schweren Sturz am Ring zehn Monate zuvor erholt, kehrt zum ersten Mal zurück in die Eifel. Mental ist er gezeichnet von den Folgen seines Unfalls; immerhin kann er nach einer erfolgreichen Operation, gefolgt von intensiven Reha-Maßnahmen, seinen rechten Arm praktisch wieder voll bewegen. Der langwierige Genesungsprozess schlägt ihm enorm aufs Gemüt. Deshalb kommt die Bitte seines Freundes Swaters, ihn zum Nürburgring zu begleiten, gerade recht. Das hat Willy bitter nötig, denn psychisch ist er am Boden. Die Freude darüber, wieder an der Rennstrecke zu sein, die Abwechslung gegenüber dem sonstigen Alltag, das Wiedersehen mit Freunden – genau das braucht er.
Im Training fällt es den gesetzten Fahrern schwer, mit der neuen Akquisition der EGF, dem 250 LM mit Mittelmotor, eine überzeugende Zeit zu fahren. Swaters muss sich den Unmut seiner Piloten anhören: „Das ist kein Ferrari! Der Wagen ist unmöglich zu fahren.“ Mitten in der Auseinandersetzung erscheint plötzlich Mairesse mit aufgesetztem Helm in der Box. Er setzt sich hinter das Lenkrad des LM und sagt: „Ich drehe ein paar Runden und schaue mal, was drin ist.“ Swaters lässt Mairesse gewähren und schaut ihm verblüfft nach, als er die Boxen im Schritttempo verlässt. Nach der Aufwärmrunde schaltet Swaters seine Stoppuhr ein und staunt nicht schlecht, als Mairesse seine erste fliegende Runde absolviert. Mairesse fährt auf Anhieb die schnellste Zeit des Teams! Zurück an der Box schildert Willy seine ersten Eindrücke von dem neuen Gefährt und empfiehlt gleich einige Änderungen an Bremsen und Fahrwerk. „Willy ist wieder da!“, scheint sich die Mannschaft nach dieser beeindruckenden Leistung des belgischen Könners zu denken. Mairesse spürt es selbst: Die Talfahrt ist zu Ende, von hier an geht es vielleicht doch wieder bergauf…
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von Etienne Bourguignon
Fotos: Sammlung Peter Hoffmann, André van Bever, Bernard Cahier, Sammlung Nils Ruwisch, Sammlung Etienne Bourguignon, The Revs/Eric Della Faille, Klemantaski, Motorsport Images, Sigurd Reilbach