Jede Rennsportsaison hat ihre Stars, jede Rennsportdekade hatte ihre Helden. Doch kaum ein Ausnahmefahrer der vergangenen Jahrzehnte hat es auf die Titelseite des legendären Time Magazine geschafft. Seit dem erstmaligen Erscheinen der US-Zeitschrift 1923 war ein Auftritt auf dem Time-Cover ein Indikator für Weltruhm (oder Beleg für globale Verachtung). Wie wir herausfanden, hat das Magazin in der Vergangenheit lediglich drei Formel-1-Größen eine eigene Titelseite gewidmet: Lewis Hamilton im Dezember 2016, Michael Schumacher im September 2001 und Jim Clark im Juli 1965. Über Clarks Porträt stand: "Der schnellste Mann auf Rädern - Weltmeister Jim Clark." Vor 50 Jahren, am 7. April 1968, verunglückte der Formel-1-Champion der Jahre 1963 und 1965 in Hockenheim bei einem unbedeutenden Rennen tödlich.
Das Porträt zeigt Clark im Cockpit - der Welt entrückt, hochkonzentriert, zugleich gelassen und mit erkennbarer Vorfreude auf ein Rennen. Sally Stokes, die etliche Jahre mit dem Schotten liiert war, sagte einmal: "Jimmy hatte zwei völlig unterschiedliche Lebensbereiche. Sobald er im Rennwagen saß, beherrschte er den Augenblick. Er dachte dann nicht darüber nach, welche Entscheidung zu treffen war. Er fuhr mit Bauchgefühl und spürte das Fahrzeug am ganzen Körper. Sobald er aber aus dem Auto ausstieg und ins reale Leben zurückkehrte, zog er sich zurück, wurde unentschlossen, unscheinbar, fast unsichtbar."
Wie erfolgreich Jim Clark als Rennfahrer war, zeigt sich bereits anhand seiner Siege in der Formel 1. Er nahm an 72 Großen Preisen teil und gewann davon 25, also fast jedes dritte Rennen. 33-mal startete er von der Poleposition, in 28 Grand-Prix-Läufen gehörte ihm die schnellste Runde. Zu seiner einzigartigen Sportbiografie gehört auch der Sieg bei den "Indy 500" im Jahr 1965 - dazu später mehr.
Im August 1965 würdigte das Nachrichtenmagazin Spiegel Clarks außergewöhnliche Fahrtalente: "Er beherrscht Hochgeschwindigkeitsstrecken wie Indianapolis, wo 200 Runden ausschließlich mit Linkskurven zu fahren sind, ebenso wie Kurvenstrecken (Nürburgring: 174 Kurven), die mit Schwierigkeiten wie Haarnadelkehren und Steilstrecken angereichert worden sind und häufigen Tempowechsel verlangen. Auch unterschiedliche Straßen- und Wetterbedingungen meistert Clark besser als seine Rivalen." Am Schluss zitierte das Magazin Stirling Moss, einen anderen großen Motorsportstar jener Jahre. "Er hat mehr Naturtalent als alle anderen", so Moss.
Ähnlich äußerten sich auch andere Grand-Prix-Helden. So sagte Clarks schottischer Landsmann Jackie Stewart einmal: "Ich habe Jims Fahrstil förmlich studiert. Er fuhr absolut präzise, fast schon sanft, verließ nie die Ideallinie; sein Fahrstil war unspektakulär, dabei war er gleichzeitig verdammt schnell." Der Neuseeländer Chris Amon meinte bewundernd: "Clark fuhr in einer anderen Dimension." Der französische Pilot Jean-Pierre Beltoise schwärmte gar: "Jimmy war ein Halbgott." Und der fünfmalige Weltmeister der Formel 1, der Argentinier Juan Manuel Fangio, erwies Clark im April 1968 in einem Nachruf die größte Ehre: "Er war besser als ich." …
Mehr im aktuellen Heft!
von Jörg-Thomas Födisch und Graham Gauld
Fotos: Sutton, Sammlung Graham Gauld/Jörg-Thomas Födisch, Gunther Asshauer - Kollektion Etienne Bourguignon, The Cahier Archive, Bernhard Völker, LAT, Ford, Ferdi Kräling