Bunkie Knudsen und Zora Duntov hatten erst fünf ihrer Grand Sport Corvettes gebaut, als die Konzernzentrale das Projekt abrupt stoppte. Diese fünf Autos sollten trotzdem auf die Rennstrecke kommen. Allerdings mussten sie sich dem Wettkampf mit reinrassigen Sport-Prototypen stellen, und nicht mit den Shelby Cobras der GT-Klasse, als dessen Gegner sie eigentlich konzipiert worden waren. Doch die Grand Sport schlug sich äußerst wacker.
Chevrolet wollte die Herausforderung der Cobra nicht unbeantwortet lassen. Just zu dem Zeitpunkt, als die bahnbrechend neue Sting Ray Corvette vorgestellt wurde, erschien Carroll Shelby mit seinem von einem Fairlane-V8 befeuerten AC-Hotrod und homologierte ihn bei der FIA und SCCA als Serienfahrzeug. Da keine Serien-Corvette auch nur annähernd das Gewicht der viel leichteren Cobra erreichen konnte, beschloss Chevy, für den Gegenschlag eine Leichtbau-Sting-Ray aufzulegen. Sofern man 100 Stück baute, konnte man die Grand Sport als Serienfahrzeug homologieren; Chevrolet beabsichtigte den Bau von 125 Exemplaren.
Die Autos waren für Privatkunden gedacht, die sie in Rennen einsetzen würden; es würde kein offizielles Chevrolet Racing Team geben. Doch nach dem Bau von nur fünf Exemplaren wurde das Projekt eingestellt: die GM-Führung bekundete ihre Entschlossenheit, weiterhin an dem Verbot von Werks-Motorsport festzuhalten, auf das man sich 1957 mit der Konkurrenz geeinigt hatte. „Duntov konnte es nicht glauben“, schrieb Zoras Biograph Jerry Burton. „Er hielt seine Argumentation, dass nur Kunden die Grand Sport einsetzen würden, für ein probates Mittel, um das Verbot der Automobile Manufacturers Association zu umgehen. Der Saisonstart von 1963 war für Zora nur schwer erträglich; er musste mitansehen, wie die Shelby Cobras alles in Grund und Boden fuhren.
Duntovs Empörung schlug in Wut um und letztendlich in Entschlossenheit. Die Anweisung von oben war, keine weiteren Autos mehr zu bauen, aber zu den bereits fertiggestellten Fahrzeugen wurde nichts gesagt.“ Zu diesem Zeitpunkt war die Grand Sport, die sich abgesehen von der Fahrwerksgeometrie und dem Antriebsstrang völlig von der Serien-Sting-Ray unterschied, noch nicht weit gediehen. Die ersten fünf Autos waren als Testfahrzeuge geplant gewesen. Nur eines davon hatte bereits eine nennenswerte Zahl von Kilometern abgespult. Somit war das Modell als Rennfahrzeug alles andere als fertig entwickelt. Auch in puncto Ersatzteile sah es für einen ernstgemeinten Renneinsatz düster aus. Die Entwicklung von Zoras geplantem Motor war noch nicht abgeschlossen, als die Werksmotorsport-Sperre wieder griff. Noch schlimmer jedoch war, dass die Grand Sport Corvette von nun an gegen reinrassige Sport-Prototypen antreten musste, nicht gegen Serien-Sportwagen. Die Chance, um Siege fahren zu können, war damit gleich Null.
Ungeachtet der geringen Erfolgsaussichten beschloss Zora, zwei der fertiggestellten Autos an gute Freunde der Marke Chevrolet zu verleihen – Männer, auf die man zählen konnte und die die Grand-Sport-Modelle einsetzen würden, ohne viel Aufhebens darüber zu machen. Tatsächlich wurde behauptet, dass sie die Fahrzeuge gekauft hätten, was jedoch nicht der Fall war. Einer der beiden Auserwählten war Dick Doane, ein Chevrolet-Händler aus Dundee im Bundestaat Illinois, dessen Performance Engineering Division ein loyaler Verbündeter von Chevrolet war. Der andere war Gulf-Oil-Entwicklungsvorstand Grady Davis, ein passionierter Motorsport-Fan. Die beiden in schlichtem weiß lackierten Sportwagen verließen die Entwicklungsabteilung von Chevrolet mit den Standard-L84-Corvette-Motoren, die aus 5,4 Liter Hubraum ungefähr 360 PS holten. Das begrenzte Entwicklungsprogramm erlaubte nur kleine Veränderungen, darunter ein schmaler Spoiler auf der Motorhaube, Lufteinlässe auf den hinteren Kotflügeln, um Kühlluft auf die hinteren Bremsen zu lenken, sowie Ventilationsschlitze im hinteren Karosseriebereich, um die Temperatur des Differenzials zu senken.
Kurz nachdem Dick Doane seine Grand Sport (Chassisnummer 3) im Frühling 1963 erworben hatte, ließ er Bill Muldon von Auto Sports das Fahrzeug in Meadowdale in der Nähe von Chicago ausprobieren. „Einmal angelassen, klang es wie ein Sherman-Panzer in Aktion“, schilderte dieser sein Fahrerlebnis. „Die Lenkung war sehr direkt. Das kurz übersetzte Getriebe war leicht zu schalten und gut positioniert. Die Sting Ray verfügt über mehr als ausreichend Drehmoment und hat eine sehr gute Straßenlage. Das Auto ist der Hammer... Es ist laut, schnell, spricht gut an – es zu fahren, ist eine Herausforderung.“ Da der Motor praktisch dem Serienstand entsprach, basierte die Wettbewerbsfähigkeit der Grand Sport auf ihrem niedrigen Gewicht…
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von Karl Ludvigsen
Fotos: Ludvigsen Partners