Es war eine einmalige Angelegenheit. Nie zuvor hatte es eine Weltmeisterschaft für Tourenwagen gegeben. Und es blieb bei dieser einen Saison 1987 und sollte weitere 18 Jahre dauern, bis die FIA ab 2005 regelmäßig eine Weltmeisterschaft ausschrieb.
Rein sportlich waren die Aussichten vielversprechend, denn beteiligt waren die üblichen Verdächtigen aus der Tourenwagenszene. BMW, Ford und Alfa Romeo hatten sich schon zu Gruppe-2-Zeiten Anfang der 70er Jahre denkwürdige Tourenwagenschlachten geliefert.
Das Fahreraufgebot umfasste neben früheren Europameistern und anderen sehr erfolgreichen Tourenwagenspezialisten, früheren und aktuellen Formel-1- und Formel-3000-Piloten auch einige vielversprechende Nachwuchstalente.
Leider wurde das Geschehen auf den Rennstrecken wiederholt durch unklare Rahmenbedingungen und deren zweifelhafte Handhabung durch die Funktionäre überschattet und aus den Angeln gehoben.
Die 80er Jahre waren, was den Tourenwagensport angeht, weitgehend die Zeit der Gruppe A, die die Autos als „in Großserie hergestellte Produktions-Tourenwagen“ definierte. Deren wesentliche Merkmale waren vier Sitzplätze und 5000 Exemplare, die in zwölf aufeinanderfolgenden Monaten produziert worden sein mussten. Dazu gab es noch die Möglichkeit, gewisse Teile in Evolutionsserien von 500 Exemplaren zu homologieren.
Bereits seit 1982 wurde die Europameisterschaft für Gruppe-A-Tourenwagen ausgetragen. Weltumspannend wurde die Serie 1987, indem an die sieben europäischen Läufe in Monza, Jarama, Dijon, Nürburgring, Spa, Brünn und Silverstone noch vier weitere am anderen Ende der Welt angehängt wurden: Bathurst und Calder in Australien, Wellington in Neuseeland und schließlich das Saisonfinale im japanischen Fuji. Die Rennen waren Langstreckenrennen über mindestens 500 km, in Bathurst 1000 km und in Spa-Francorchamps die bekannten 24 Stunden, bei denen der Sieger über 3300 km zurücklegte.
Ausgeschrieben waren zwei Meisterschaften, eine für die Fahrer und eine für die „Nennungen“. Letztere war keine Hersteller- oder Teamwertung in dem Sinne, dass die Punkte aller Fahrzeuge einer Marke oder eines Teams addiert wurden. Vielmehr wurden die Punkte einer „Nennung“ addiert. Ford ist also nicht Markenweltmeister 1987 und Eggenberger Motorsport nicht Teamweltmeister. Weltmeister 1987 ist die Nennung mit der Startnummer 7.
Punkte wurden sowohl für die Platzierung im Gesamtklassement der einzelnen Läufe als auch für die Platzierung in einer der drei Hubraum-Divisionen vergeben: bis 1600 ccm, 1601 bis 2500 ccm und über 2500 ccm. Punkte gab es jeweils für die ersten zehn Plätze nach dem System 20-15-12-10-8-6-4-3-2-1. Eine Nennung konnte pro Rennen also bis zu 40 Punkte einstreichen.
Dank einer nur vier Wochen vor dem Saisonstart in Monza von der FIA beschlossenen zusätzlichen Maßnahme wurde es aber noch etwas komplizierter. Es war das erste Politikum, das sich entscheidend auf das Championat auswirkte. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, für jede Nennung 60.000 US-Dollar, nach heutigem Wert rund 120.000 Euro, an die FIA zu bezahlen, damit diese überhaupt punkteberechtigt war. Hintergrund dieser Maßnahme: Der FIA war es nicht gelungen, einen Seriensponsor für ihre neue Weltmeisterschaft zu finden. Für diese 60.000 Dollar versprach die oberste Motorsportbehörde eine professionelle Organisation der Meisterschaft, was doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit hätte sein sollen.
Einige Teams und Hersteller wie Alfa Romeo, BMW und Ford zahlten zähneknirschend, da ihre aufwendige Saisonvorbereitung sonst für die Katz gewesen wäre. So gingen insgesamt 15 Nennungen ein, die sich auf sieben Teams aus Italien und dazu je eines aus Deutschland, Schweden, England und der Schweiz verteilten. Andere, wie zum Beispiel Tom Walkinshaw Racing, zogen sich kurzfristig aus der Meisterschaft zurück. Der Brite hatte nicht die Absicht, 60.000 Dollar zu investieren, ohne dafür eine konkrete Gegenleistung in Aussicht zu haben. Ohne die Zahlung durfte man zwar mitfahren, wurde jedoch bei der Punktevergabe übersprungen. Zu ermitteln, wer bei welchem Rennen wie viele Zähler für sich verbucht hatte, wurde so zu einer Wissenschaft. Und noch eine weitere kleine Bedingung hatten alle Weltmeisterschafts-Aspiranten offiziell zu erfüllen: Um bei den „Nennungen“ gewertet zu werden, mussten sie an allen Läufen teilnehmen.
Gleich beim Saisonauftakt in Monza kam dann die große Stunde der Funktionäre und ihrer Regelauslegung. Die italienischen Kommissare schlossen kurzerhand die Autos der beiden Hauptkonkurrenten und Titelanwärter aus, die einen schon vor (Ford) und die anderen nach dem Rennen (BMW).
Es begann damit, dass die beiden Ford Sierra RS Cosworth, die der Schweizer Ruedi Eggenberger im Auftrag des Werks vorbereitet hatte, die technische Abnahme nicht überstanden. Die Kommissare vor Ort befanden die Bosch-Motronic in den Autos für illegal, da die Serien-Sierras mit Weber-Marelli fuhren. Dabei waren die Renn-Sierras bereits in der Vorsaison mit dieser Motorsteuerung unterwegs gewesen, und Eggenberger konnte ein nur wenige Wochen altes FISA-Bulletin vorweisen, wonach das Reglement des vergangenen Jahres weiterhin gültig sei. Eggenberger versicherte: Wir betrügen nicht! Es half nichts. Sein Team durfte beim Rennen nur zuschauen…
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von Harold Schwarz
Fotos: LAT, Walter Wilbert, Ray Berghouse, BMW, Kräling