Zu Beginn der siebziger Jahre hatte Matra bereits bedeutende Erfolge im Motorsport erzielt, darunter der Formel-1-Titel 1969 mit Jackie Stewart. Doch die Trophäe, die sich die Franzosen am meisten wünschten, fehlte noch im Sortiment: ein Sieg beim Sportwagen-„Heimrennen“ in Le Mans. Mit dem hauseigenen -Zwölfzylinder sollte sich dies ändern.
Französischer Patriotismus spielte für Matra sicher eine Rolle bei der Entscheidung, die englischen und amerikanischen Motoren in den französischen Formel- und Sportwagen gegen eigene Entwicklungen zu ersetzen. Aber es gab auch technische Erwägungen: Der von Georges Martin entwickelte 60-Grad-V12 machte eine tiefere Einbaulage und damit einen besseren Schwerpunkt möglich, als ein 90-Grad-V8.
Der Hubraum des MS9 betrug 2992 cm3 und hätte theoretisch auf bis zu 4,2 Liter vergrößert werden können, was aber nie geschah. Sein Konzept als Dreiliter bedarf an dieser Stelle einer Erklärung. 1967 existierte in der Marken-WM noch kein Hubraumlimit – was in Le Mans zur Dominanz der Ford Mk II und Mk IV führte. In Frankreich nahm die Sorge zu, dass sich das Schwergewicht im Langstreckensport zu sehr auf die andere Seite des Atlantiks verlagern würde und den Franzosen auf längere Zeit die Chance verwehrt bliebe, erstmals seit 1950 wieder an der Sarthe zu gewinnen. Die Formel 1 fuhr schon seit 1966 mit Dreiliter-Motoren und der Gedanke lag nahe, das Reglement für die Sportwagen zu übernehmen.
Im April 1967 gewährte dann die Pariser Regierung sechs Millionen Francs für die Entwicklung eines französischen Dreiliter-Formel-1-Motors. Dass die Gelder nicht an die staatliche Régie Renault, sondern an Matra gingen, war dem Einfluss der Familie Floirat zu verdanken. Sie kontrollierte Matra seit geraumer Zeit und hatte beste Verbindungen bis in den Élysée-Palast. Eine Firma mit Wurzeln in der stolzen französischen Luft- und Raumfahrtindustrie als Le Mans Sieger? Das passte. Umso mehr passte dann auch, das mit dem Ölgiganten Elf ein weiteres, vom französischen Staat unterstütztes Unternehmen Matra finanziell unter die Arme griff.
Was Matra und Frankreich nicht ahnen konnten: Es gab ein Schlupfloch im Reglement. Zwar waren ab 1968 erstmals Dreiliter-Motoren startberechtigt, doch durften für eine Übergangszeit bis 1971 auch weiter Fünfliter-Modelle mitmischen. Aus Sorge um zu kleine Starterfelder erlaubten die Regelmacher mit älteren V8-Motoren ausgerüsteten Modellen wie Ford GT40 oder Lola T70 die weitere Teilnahme. Die Regeln verboten noch nicht einmal den Bau brandneuer 5-Liter-Prototypen – doch rechnete niemand mit solch einem Schritt – bis Porsche den 917 homologierte.
Vor diesem Hintergrund konnte Matra seinen V12 zumindest in Ruhe entwickeln, waren doch die Chancen auf Gesamtsiege gering. Und als die großvolumigen Sportwagen Ende 1971 abtreten mussten, war das französische Team nach einigen Höhen und Tiefen bereit für den Angriff auf den WM-Titel.
Mit entsprechend geringen Erwartungen trat Matra 1968 zu den beiden ersten Auftritten des M630 V12 in Spa und Le Mans an. Im 24-Stunden-Rennen arbeiteten sich Servoz-Gavin und Pescarolo im einzigen gemeldeten Matra trotz zahlreicher Tankstopps bis zum Sonntagmorgen auf Platz zwei vor. Nur um in der Schlussphase von zwei Reifenschäden zurückgeworfen und dann von einem Kurzschluss mit anschließendem Feuer endgültig zur Aufgabe gezwungen zu werden…
von Janos Wimpffen
Fotos: LAT, DPPI, McKlein, Siebert