Anlässlich des ersten Grand Prix der Neunzigerjahre gastierte die Formel 1 in den Straßen von Phoenix. Das Rennen fand auf einem eintönigen Stadtkurs statt, der nur wenige Anhänger fand. Trotzdem sahen wir vor 25 Jahren einen der aufregendsten Saisonstarts der F1. McLaren und Ferrari reisten als Favoriten nach Arizona, doch die Stars wurden von Underdogs aufgemischt: Ein Minardi fuhr in die erste Startreihe, gefolgt von einem Dallara und einem Tyrrell! Im Rennen zeigte dann allen voran der Tyrrell mit einem jungen Franzosen am Steuer eine spektakuläre Show. Wir erinnern uns an den Grand Prix der USA 1990, einem großartigen Rennen vor ungewöhnlicher Kulisse.
Um die Geschehnisse des Saisonauftaktes 1990 in die richtige Perspektive zu rücken, starten wir mit einer Rückblende in die späten Achtzigerjahre: Zwei Giganten beherrschten die Formel 1. Zwei Fahrer, die alles und jeden überstrahlten und deren legendäre Duelle die Fans noch bis heute polarisieren: Alain Prost und Ayrton Senna. 1988 wurden die beiden zu Teamkollegen bei McLaren. Mit Honda-Motoren und einem überlegenen Chassis dominierte das Duo die finale Saison der 1,5-Liter-Turbo-Ära nach Belieben. Auch als 1989 mit neuen 3,5-Liter-Saugmotoren gefahren wurde, blieb die Kombination McLaren-Honda souverän. Doch im Imperium von Ron Dennis hing längst der Haussegen schief. Die Teamkollegen Prost und Senna hatten von Beginn an ein angespanntes Verhältnis. Im Herbst ´88 kam das Fass dann zum Überlaufen. In Estoril drängte Senna Prost im Kampf um die Spitze bei 290km/h rabiat in Richtung Boxenmauer ab. Es folgten eine Eiszeit und ein psychologischer Krieg innerhalb McLarens. Die teaminterne Auseinandersetzung gipfelte schließlich im WM-Finale von Suzuka ´89 in einer Kollision, die Prost den Titel bescherte. Doch schon zuvor waren die internen Gräben der beiden Lager Prost und Senna bei McLaren unüberwindbar tief geworden. Es kam folglich nicht überraschend, als Alain Prost im Sommer 1989 seinen Wechsel zu Ferrari bekanntgab. Für 1990 ergab sich so ein direkter Platztausch des Franzosen mit Gerhard Berger, der sich nach drei starken Jahren in Maranello für die größte Herausforderung überhaupt gerüstet glaubte: dem Platz an Ayrton Sennas Seite bei McLaren.
Die Formel 1 hatte ihre Karten für die Saison 1990 also bestens gemischt. Fans und Experten erwarteten mit Spannung, wie sich der amtierende Champion Prost wohl bei den Roten schlagen würde, wo er auf Nigel Mansell traf. Bei den Testfahrten vor Saisonbeginn war der neue Ferrari 641 schnell und deutlich näher an der Pace der McLaren als im Vorjahr. Während Neuzugang Gerhard Berger den Großteil der Entwicklungsarbeit für McLaren abspulte, verbrachte Ayrton Senna die Wintermonate in seiner Heimat. Der Brasilianer kehrte erst zu den beiden finalen Tests vor dem Saisonstart ins Cockpit zurück. Berger fügte sich hervorragend in sein neues Team ein und er vermochte von Beginn an mit konkurrenzfähigen Rundenzeiten aufzuwarten. Die Grundschnelligkeit des Österreichers stand nie in Frage, doch blieben Zweifel bezüglich seiner Konstanz. Zudem hatte der großgewachsene Tiroler im engen Cockpit des McLaren mit einer mangelhaften Sitzposition zu kämpfen. Dieses Handicap sollte Berger das ganze Jahr über begleiten, und das nicht ohne Folgen.
Das Feld Jahrgang 1990
Wenn überhaupt jemand in der Lage sein sollte, aus eigener Kraft mit McLaren und Ferrari zu konkurrieren, so traute man das in erster Linie Williams zu. Die Mannschaft aus Oxfordshire ging mit Motorenpartner Renault und dessen potenten V10-Triebwerken in das zweite Jahr. Ricardo Patrese und Thierry Boutsen erzielten im neuen Williams FW13B vielversprechende Testzeiten. Außenseiterchancen wurden Benetton eingeräumt, wo es neben dem exklusiven 72°-V8-Ford-HB-Motor mit Nelson Piquet und Konstrukteur John Barnard zwei verheißungsvolle Neuverpflichtungen gab.
Hinter den Top Vier folgte im Ranking ein qualitativ und zahlenmäßig ausgesprochen starkes Mittelfeld. Dort kämpften die beiden Lamborghini-Teams von Lotus und Larrousse mit den Judd-V8-angetriebenen Leyton House und Brabham, sowie den Ford-DFR-Kunden von Tyrrell, Ligier, Arrows, Minardi, Dallara, Osella und Onyx. Am Ende des Feldes fanden sich die französische Ecurie AGS, Walter Bruns EuroBrun-Rennstall und zwei besondere Exoten, beide aus Italien, und beide mit äußerst unkonventionellen 12-Zylinder-Motoren: Der Coloni-Subaru und Ernesto Vitas neuer, eigenartiger Life.
So begab sich der Grand-Prix-Zirkus Anfang März 1990 zum Saisonstart in den Südwesten der USA. Nach 1989 war es der zweite F1-Auftritt in Phoenix. Um der sengenden Sommerhitze in der Wüste Arizonas, unter der das Debütrennen im Juli des Vorjahres litt, aus dem Wege zu gehen, rückte der USA-GP nun ganz an den Beginn des F1-Kalenders. An einem kühlen und bewölkten Freitagmorgen um acht Uhr starteten neun Fahrzeuge aus dem 33 Wagen starken Feld in die einstündige Vorqualifikation, bei der sich nur die schnellsten Vier für ein Weiterkommen qualifizieren würden; den Rest erwartete die vorzeitige Heimreise.
Star der Vorqualifikation: Roberto Moreno
Im Club der Freitags-Frühaufsteher war Roberto Moreno überraschend der Schnellste. Mit viel Einsatz fuhr der Brasilianer den unterlegenen Eurobrun ganz nach vorne, beeindruckende 0,5 Sekunden vor dem eigentlichen Favoriten, Eric Bernard im Larrousse Lola-Lamborghini. Es folgten Olivier Grouillard im Osella und Bernards Teamkollege Aguri Suzuki. Mit über 2 Sekunden Rückstand auf Suzuki ausgeschieden waren die beiden AGS von Tarquini und Dalmas. Noch weiter abgeschlagen fand sich Claudio Langes im zweiten Eurobrun sowie der hoffnungslos langsame Life mit Gary Brabham am Steuer. Der Australier komplettierte zumindest vier Runden im Schneckentempo, bevor der W12-Motor mit Elektrik-Defekt ausrollte. Währenddessen konnte sich Bertrand Gachot bereits wenige Minuten nach Trainingsbeginn wieder umziehen. Als der Belgier den infernalisch klingenden, aber stark übergewichtigen 12-Zylinder-Subaru-Boxer aus der Boxengasse auf die Strecke beschleunigte, brach das Schaltgestänge am Coloni.
Ab zehn Uhr schlossen sich dann die vier Vorqualifikanten für das erste freie Training dem Rest des Feldes an. In der 90-minütigen Sitzung gab es viele Zwischenfälle. Die Betonmauern direkt neben der Strecke bestraften bereits kleinste Ausrutscher mit Schäden am Auto. Es gab nicht weniger als vier rote Flaggen, insgesamt 54 Minuten Verzögerung und entsprechend viel Schrott. Unter denen, die das Training nicht in der Mauer beendeten, fand sich eine faustdicke Überraschung auf Platz 1: Jean Alesi im Tyrrell! Niemand hatte bis dahin Ken Tyrrells Truppe auf der Rechnung. Noch beeindruckender wurde die Tyrrell-Vorstellung durch Alesis Teamkollege Saturo Nakajima. Der Japaner, dessen Tyrrell-Sitz von Honda und von japanischen Sponsoren finanziert wurde, fuhr auf einen starken fünften Platz.
Erst zu Beginn der Rennwoche in Phoenix hatte Ken Tyrrell den plötzlichen Wechsel von seinem bisherigen Reifenlieferanten Goodyear zu Pirelli bekanntgegeben. Die Performance der italienischen Pneus lag generell nicht auf dem Niveau von Goodyear, doch Pirelli machte gegen Ende der Saison 1989 bemerkenswerte Fortschritte. Wann immer im Vorjahr besonders weiche Reifenmischungen gefragt waren, ließ vor allem Pierluigi Martini im Pirelli-bereiften Minardi durch starke Vorstellungen aufhorchen. Trotzdem kam Tyrrells kurzfristiger Wechsel zu Pirelli unerwartet. Das Team hatte alle Testfahrten zuvor noch auf Goodyear bestritten. Umso erstaunlicher war es, dass Tyrrell auf Anhieb ein für die neuen Reifen perfektes Set-Up fand. Im freien Training des Freitagmorgens wurden die Tyrrell-Piloten Alesi und Nakajima nur vom McLaren-Duo und Alain Prosts Ferrari getrennt. Die Top-Ten komplettierten Piquets Benetton, beide Williams, Pierluigi Martini (Pirelli-bereift) im Minardi und Philipe Alliots Ligier.
Zeittraining: Vorteil Pirelli
Mit Beginn des Qualifikationstrainings am Nachmittag wurde schnell klar, dass die Leistungen von Tyrrell und vor allem von Pirelli am Morgen keine Zufälle waren. Statt des erwarteten Schlagabtausches, McLaren gegen Ferrari, schien der Kampf um die Pole-Position ausschließlich unter Pirelli-bereiften Underdogs stattzufinden! Lange dominierte Pierluigi Martini die Zeitenjagd. Die einzigen beiden, die den Minardi in Bedrängnis bringen konnten, waren dessen Pirelli-Kollegen Jean Alesi und Andrea de Cesaris im BMS-Dallara. Erst in den allerletzten Minuten des Trainings gelang Gerhard Berger das, was er selbst als „die perfekte Runde“ bezeichnete. Mit einer Zeit von 1:28,6 Minuten rettete der Österreicher die Ehre von Goodyear und stellte den McLaren bei seinem Renndebüt für das Team auf die vorläufige Pole! Man durfte gespannt sein: Würde Berger es tatsächlich auf Anhieb schaffen, den großen Ayrton Senna zu entzaubern? …
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von Andreas Riehl
Fotos: Sutton Images, LAT